Musical im deutschsprachigen Raum - Editorial

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Eva Theresa Beck

Abstract

Seit Jahrzehnten ist das Musical ein fester Bestandteil der deutschsprachigen Kulturlandschaft. Egal ob Stücke aus dem In- oder Ausland, die Gattung ist aus den hiesigen Spielplänen nicht mehr wegzudenken: von den großen kommerziellen Bühnen in Metropolen über alle Formen des öffentlich getragenen Theaters bis hin zu semi-professionellen Festivals in der Provinz.


Die Erforschung dieser Gattung hingegen steht nicht nur in Deutschland noch am Anfang, in der Forschungslandschaft ist Musical im Allgemeinen und Musical im deutschsprachigen Raum im Besonderen noch eine Randerscheinung. Sammelpublikationen sind rar gesät, Forschungsbeiträge finden sich vor allem vereinzelt. Dabei drängt sich eine Vielzahl an Fragen förmlich auf zu


Struktur und Geschichte: Wie fügt sich vor allem das U.S.-amerikanische Musical, das aus einem gänzlich anderen Produktionssystem stammt, in unseren Theateralltag ein? Auf welche vorhandenen Strukturen ist die Gattung im Nachkriegs-Deutschland getroffen? Welche Strukturen haben sich seitdem gebildet, um ausländische wie originär deutschsprachige Stücke auf die Bühne zu bringen und die Entwicklung des Musicals hierzulande zu fördern? Wie steht es um die Ausbildung für diese Musiktheatergattung?


Werke und Repertoire: Was bedeutet der Begriff „Musical“ im deutschsprachigen Raum? Wie hat sich das Repertoire entwickelt? Welche dramaturgischen, thematischen und musikalischen Tendenzen sind in deutschsprachigen Werken auszumachen?


Publikum und Rezeption: Wie sieht das Musical-Publikum aus? Kann man von ‚dem‘ Musical-Publikum sprechen? Lockt Musical tatsächlich Menschen ins Theater, die diesem bisher eher fernbleiben? Wie gestaltet sich Musical-Fandom? Welche Rolle spielen das Internet und soziale Medien dabei? Wie wird deutschsprachiges Musical im Ausland rezipiert?


Wirtschaft und Region: Wie wirtschaftlich ist Musical? Kann es den Ruf als vielfach beschworene Cash-Cow erfüllen? Welche Rolle spielt Musical in touristischen Konzepten? Welches Potenzial ergibt sich für die regionale Entwicklung?


Diese Diversität der Fragen, deren Beantwortung erst teilweise begonnen hat, schlägt sich in dieser Ausgabe von ACT nieder. Mit den Wegen, auf denen das U.S.-amerikanische Musical in den deutschsprachigen Raum fand, beschäftigt sich Dr. Susanne Scheiblhofer in Ihrem Artikel „Zwischen Nachkriegspropaganda, Kulturimperialismus und Kulturkritik: Marcel Prawys Lecture-Performances am Wiener Kosmos-Theater Anfang der 50er Jahre“. Sie zeichnet nicht nur Prawys Auseinandersetzung mit dem U.S.-amerikanischen Musical und seinen persönlichen Werdegang nach, der noch in Österreich auf das höchste mit der U.S.-amerikanischen Regierung und damit auch Propaganda verknüpft war. Sie sichtete zudem erst kürzlich archiviertes Material aus Marcel Prawys Nachlass und konnte so einen ersten Einblick verschaffen, welche Stücke für die Programme ausgewählt wurden, auf welche Art und Weise Prawy die Konventionen der in Wien neuen Gattung den Einheimischen näherbrachte und welches Bild von den USA vermittelt wurde. Gerade die allzu propagandistisch wirkende Vermittlung des American Way of Life führte jedoch zu einer Ablehnung der Gattung, die potenziell bis heute nachwirkt.


Auch Christian Wegerich beschäftigt sich in seinem Artikel „Gesamtkunstwerk Musical? Zwischen Fortschrittsglauben und (nach-)postmodernen Potenzialen“ mit den Widerständen, auf die das Musical im deutschsprachigen Raum bis heute trifft. Als Ausgangspunkt dient ihm die häufig bemühte Bezeichnung des Musicals als „Gesamtkunstwerk“, die er nicht als Beschreibung im Sinne der Verschmelzung der Künste, sondern unter der Prämisse des Utopisch-Revolutionären beleuchtet. Elementarer Teil der Theorien zu musikalischem und künstlerischem Fortschritt sind Adornos Schriften, dessen Ablehnung des Jazz – ein zentrales Element des frühen U.S.-amerikanischen Musicals – nahezu legendär ist und beim Umgang mit breitenwirksamen Kulturgütern bis heute nachwirkt. Durch den Abgleich der Theorie mit der Praxis werden jedoch Parallelen und vor allem Möglichkeiten für die Gattung Musical offenbar.


Zuletzt wagt Agnes Wiener den Sprung ins Heute. Mit „‚Ey, was is das denn für ’n Projekt, Mann?!‘ – Fack ju Göhte im WERK7 theater als Experiment für das neue deutsche Musical“ beleuchtet sie zum einen das sogenannte contemporary musical in seiner U.S.-amerikanischen Ausprägung und analysiert, inwiefern sich die Musicaladaption Fack ju Göhte (2018) darin einreiht. Darüber hinaus weist sie auf, mit welchen Strategien die Produktionsfirma Stage Entertainment versuchte, durch Fack ju Göhte den Weg für das contemporary musical im deutschsprachigen Raum zu ebnen und geht dabei sowohl lauf den Entwicklungsprozess als auch auf den Versuch, einen neuen Theaterraum in München zu etablieren, ein. 


Diese thematisch wie methodologisch breit gefächerte Ausgabe von ACT stellt einen zwar kleinen, doch impulsgebenden Schritt in Richtung Beantwortung der eingangs aufgelisteten Fragen dar und soll zur weiteren Forschung anregen. Unser großer Dank gilt allen Autor*innen und den Kolleg*innen, die im Peer-Review-Verfahren an dieser Ausgabe mitgewirkt haben. Außerdem danken wir unserem Kollegen Dominik Frank und unserer studentischen Hilfskraft Annabell Strobel, die die Redaktion dieser Ausgabe entscheidend mitgetragen haben.

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Autor/innen-Biografie

Eva Theresa Beck

Eva Theresa Beck absolvierte ihren B.A. „Musiktheaterwissenschaft“ und M.A. „Musik und Performance“ an der Universität Bayreuth, wo sie auch als externe Dozentin mit Schwerpunkt Musical tätig ist und zum Thema Musical promoviert. Für die Deutsche Musical Akademie organisiert und moderiert sie die digitale Veranstaltungsreihe „Campus Musical“ und leitet die Weiterbildungs-Kommission. Nachdem Eva mehrere Jahre als Projektmanagerin bei dem Musikinstrumentenverleih Preissler Music und als Musikdramaturgin bei der Gallissas Theaterverlag und Mediaagentur GmbH tätig war, arbeitet sie seit 2020 im Bereich Forschung & Entwicklung für die Luisenburg-Festspiele. (Stand 2023)