Editorial 2017: Musik und Macht

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Katrin Losleben

Abstract




Macht fließt, verändert sich und mäandert. Sie gehört niemandem, aber Netzwerke mit verschiedenen Instrumenten an der Hand (wie Zeitungen, Rituale, Architektur) binden sie an sich. Macht ist überall, sie erzeugt Wirklichkeiten, und sie kreiert sich ihr eigenes Anderes, ihr Gegenüber. Musik und Macht – das ist ein Themenkomplex, der nicht ausufernder sein könnte, weil er sämtliche Zeiten, Gesellschaften, Orte, Gattungen, Genres, Materialitäten, individuellen Akteure und Akteurinnen und ganze Gesellschaftsgruppen betrifft; weil er verschiedene Ebenen von Macht – makro- und mikropolitische, soziale, wirtschaftliche, religiöse und den Glauben, die Rasse, Geschlechter, Schicht und deren Intersektionen betreffende – umfasst; schließlich, weil alle Facetten des ,musickings‘ von der Produktion zur Darbietung, Rezeption und Tradierung und deren Geschichte betroffen sind; weil für Individuen und Gesellschaftsgruppen Musik ein Mittel ist, Facetten ihrer Identität auszudrücken und zu vermitteln, sich so mit anderen zu verbinden und von wieder anderen abzugrenzen. Musik kann die Verbindung zwischen ihrer Vergangenheit und Zukunft von Menschen bedeuten: Sie, schreibt Jann Pasler, “empowers a conception of history that includes oneself in the present and has implications for the future” (2009: xi). So lohnt sich die Untersuchung der Relation von Musik und Macht in sämtlichen Zeiten und für sämtliche Räume, Gesellschaftsstrukturen und -perspektiven: und dies eben nicht nur für Wissenschaftler*innen aus musikbezogenen Fächern, sondern auch für Wissenschaftler*innen aller Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Musik ist so sehr Teil sich ständig verändernden Lebens und seiner Kräftespiele, dass mehr über sie zu verstehen auch bedeutet, diejenigen, die sie machen und hören, besser zu verstehen.


Die Fülle von Veröffentlichungen in den letzten Jahren zeigt die verschiedenen Blickwinkel auf Musik, die auch der Ermächtigung dient: Musikpatronage als politisches Mittel, Musik im Empire, in Diktaturen und totalitären Regimen, im Exil und im Kalten Krieg, als Teil von Religion und Glauben oder im Diskurs um nationale Identitäten, ,indigenious politics‘ oder ,politics of belonging‘, Musik im Kontext von Nationalismus, in aktivistischen und revolutionären Bewegungen, das Machtpotenzial von Musik im amerikanischen Polittheater oder Musik, die als Foltermittel dient. Die Kategorien ,race‘, ,class‘, ,sexuality‘ und ,gender‘ und ihre Intersektionen bleiben grundlegend und unvermindert aktuell. Wissenschaftler*innen aus den verschiedensten Disziplinen untersuchen die Bedeutung der Gattung und Institution Oper und aller beteiligten Akteur*innen auf ihre Rolle im Machtdiskurs, unter anderem wurde jüngst zu Franz Lehár und Hitler, zu Verdi, Wagner und Britten und Menschenrechtsappellen in ihren Musikdramen, zur Geschichte der Salzburger Festspiele im Dritten Reich oder zur Rolle von Oper an ,peripheren Orten’ im Nationenbildungsprozess veröffentlicht, um nur einige Beispiele zu nennen.








In dieser Themenvielfalt veröffentlichen wir im Folgenden zwei Artikel, die sich mit der Oper im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigen, sowie eine Rezension des jüngst veröffentlichten Bandes Seismographic Sounds. Visions of a New World (2015/2016).


Ute Sonnleitner erkundet das Kräftespiel zwischen Bühne, Publikum, Schauspieler*innen, Medien und interessierter Öffentlichkeit um die in Graz erfolgreich wirkende Sängerin Nina Hartmann-Zottmayr. In der multiperspektivischen, dem historischen Vergleich verschriebenen Analyse von Zeitungsberichten und biographischen Notizen erweitert sich die Fläche des Spielfeldes weit über das Opernhaus hinaus. Sonnleitner zeigt die Handlungsräume und Grenzen der verschiedenen Akteure und der Akteurin, und erkennt die Intersektionen von geschlechtsspezifischen und nationalen/nationalistischen Machtdiskursen, die an Hartmanns Persona ausgetragen wurden; sie zeigt aber auch, wie sich die Sängerin selbst als Handelnde durch die Wahl ihrer Rollen er- mächtigte.


Johanna Ethnersson Pontara untersucht die verschiedenen Schichten in der Oper Tintomara von Lars Johan Werle und Leif Söderström (Stockholm 1973), die auf der Novelle The Queen’s Jewel von Carl Johan Love Almqvist basiert und deren Aussage durch die Kompositionstechnik erweitert wird, so Pontaras These. Durch die Montage der verschiedenen Stile bringt Werle das Verhältnis von Narration und Performance ins Oszillieren. Vor allem aber nutzt er seine Erfahrung als Filmmusikkomponist um Schockeffekte, wie man sie von der Musik in Horrorfilmen kennt, herzustellen und auf die Körper der Zuhörenden Macht auszuüben. Ethnersson Pontara wendet Theorien des Films an und kann so zeigen, dass die Orientierung und Veranlagung Tintomaras, einem Hermaphroditen, durch das in Romanzen, Porno- und Horrorfilmen traditionelle Machtgefälle zwischen männlichen Subjekten und weiblichen Objekten unterwandert wird.


Bayreuth, im Januar 2017




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Katrin Losleben

Katrin Losleben hat über Musikpatronage als mikropolitisches Mittel am Beispiel der Christina von Schweden promoviert, zwischen 2012 und 2016 war sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Stipendiatin am fimt beschäftigt. Seit 2017 ist sie als guest researcher am Department for Interdisciplinary Studies of Culture an der Norwegian University of Science and Technology. (Stand 2017)